FALLENDE BLÄTTER BERÜHREN DEN HIMMEL

VOM WERDEN UND VERGEHEN DES LEBENS

der Augenblick ist jenes Zweideutige, darin Zeit und Ewigkeit einander berühren
Søren Kierkegaard

Dieses Zitat vom dänischen Philosophen Kierkegaard kann durchaus als Ausgangspunkt oder auch Résumé für den Wolkenpavillon in der Alterssiedlung Schönegg in Brugg verstanden werden. Denn mit diesen wenigen Worten artikuliert er seine tiefgründigen Gedanken über die Zeit, die Vergänglichkeit und Ewigkeit… und den Augenblick des Seins.

Inwiefern die Zeit und die Vergänglichkeit mit dem Pavillon zusammenhängen, möchte ich im Folgenden kurz erläutern.

Bestimmt sind wir alle von der fortschreitenden Zeit und der Endlichkeit unseres und allen Daseins betroffen, doch im Herzen der Alterssiedlung kann man bei aufmerksamer Beobachtung die zeitbehafteten Aspekte des Lebens mannigfaltig erfahren. Für gewisse Menschen dürfte dieser Ort der Wohnort ihres letzten Lebensabschnitts sein. Nach langem und hoffentlich erfülltem Leben sind vielleicht einige Menschen dort damit konfrontiert, dass sie aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters sich bewusstwerden, dass die Zeit unaufhaltsam fortschreitet, sie im Anblick ihres Lebens einerseits vielleicht nur noch wenig Zeit haben, zweitens und paradoxerweise aber und aufgrund ihrer Pensionierung vielleicht plötzlich über viel Zeit verfügen. Zeit, um sich am Wandel des Naturgartens zu ergötzen oder sich beim Betreten des Wolkenpavillons mit seinem in den Himmel gerichteten Wolkenfenster vielleicht Gedanken über das Leben, den Augenblick, die Vergangenheit und die Zukunft zu machen.

Eine ergreifende Besonderheit, welche sich einem vor allem beim wiederkehrenden Besuch über das ganze Jahr hinweg erschliesst, ist der Wildgarten, der einem nördlich des Zentrums mit angehäuften Sand- und Steinhügeln, Wasserlöcher und Baumstrunke empfängt und einem dann weiter zu dem von den fünf Gebäuden der Alterssiedlung umschlossenen Gartenpark führt. Keine kurz geschnittenen und saftig grüne Wiesenflächen, sondern zum Teil wild und hochwachsendes Gras, Sträucher und Hunderte von verschiedenen Pflanzen mit zu unterschiedlichen Zeiten blühenden Blüten überraschen einem beim Betreten dieser Gartenlandschaft. Was hier aber vielleicht wild und auf den ersten Blick ungepflegt erscheinen mag, basiert auf einem wohlüberlegten Konzept zur vielseitigen Wahrnehmung und Sensibilisierung der Natur, zur Förderung der Biodiversität und bedingt für die Pflege nicht minder Aufwand als ein konventioneller Garten.

Was ich hiermit v.a. aufgreifen möchte, ist dieser Garten als unmittelbare Erfahrung des Lebens, die Kontinuität des Lebens, der Zeit und aber auch die Vergänglichkeit. Und letztlich auch, wie diese Aspekte mit dem Wolkenpavillon in Verbindung stehen.

Wohl kaum etwas anderes als die Natur führt einem besser die paradoxe und trotzdem gleichermassen sich gegenseitig bedingende Abhängigkeit von Leben, Vergänglichkeit und Ewigkeit vor Augen.

So sind es nach kalten Wintertagen die Schneeglöckchen, Krokusse, Narzissen oder auch Magnolien, die den nahenden Frühling ankündigen. Alles beginnt zu spriessen, die Farben der Natur werden intensiver und die Luft füllt sich mehr und mehr mit wohlriechenden Düften. Die Vögel beginnen die Umgebung zu besiedeln und mit ihrem unterschiedlichen Gesang zu bespielen, die Bienen werden aktiver und scheinen kaum den ersten Frühlingssonnenstrahl missen zu wollen, um die frischen Blüten zu bestäuben. Es sind Bilder, Klänge und Gerüche des wiedererwachten Lebens. Diese Blüten und Farbenpracht begleiten und erfreuen uns durch den Sommer bevor sie dann im Herbst langsam verblassen und vergehen. Wohl kaum ein besserer Ort, wo man Zeuge des Werdens und Vergehens des Lebens wird.

Wolkenpavillon

Und in diese fantastische Umgebung war es mir anvertraut, ein ganz spezielles Kunstwerk zu gestalten. Nicht nur eine Kunst um zu betrachten, sondern um sie aktive zu nutzen und zu erfahren. Am Anfang meiner Überlegungen zu einem Kunstpavillon in dieser Umgebung standen der Bezug zur Architektur des gesamten Gesundheitszentrums, die Landschaftsarchitektur, der Sinn und Zweck der Institution und vor allem die Menschen und Bewohner dieser Siedlung.

Es sollte mit meiner Kunst ein Ort entstehen, der sich augenfällig, eigenständig aber dennoch harmonisch ins Gesamte einfügt, ein Ort, an welchen man sich an heissen Sommertagen mit Anderen im Schatten treffen und austauschen soll und bei Bedarf sich darin zurückziehen kann, um sich vielleicht Gedanken über die Zeitlichkeit und Ewigkeit zu machen.

Ein Bambushain, wie ich solche aus Japan kannte, bildete dafür eine treffende Inspirationsquelle. So werden nämlich in Japan Bambushaine zu Abkühlung an heissen Sommertagen aufgesucht, um sich darin zu erfrischen, um einen Spaziergang darin zu unternehmen oder sich in der Praxis des Shinrin Yoku zu üben.

Shinrin Yoku ist ein japanischer Begriff und bedeutet Waldbaden oder wörtlich „ein Bad nehmen in der Atmosphäre des Waldes“. Und einen solchen Wald, ein Bambushain, ein Treffpunkt und zugleich kontemplativen Ort wollte ich mit dem Pavillon bezwecken.

Nähert man sich dem Pavillon von Aussen, so empfängt er einem mit seinen Tausend grünblau patinierten Kupferrohren wahrlich wie ein dichter, frische- und schattenspendender Bambushain. Ähnlich einem solchen lässt sich auch hier beim Pavillon von Aussen kaum ins Innere blicken und gewährt einem einen Hauch der Intimität, von Innen nach Aussen hingegen vermag man fast alles zu erkennen und fühlt sich dabei geborgen, doch kaum eingeengt oder eingeschlossen.

BAMBUSHAIN ODER WOLKENPAVILLON

Verschiedentlich wurde bei diesem Pavillon bereits vom "Wolkenpavillon" gesprochen. Warum Wolkenpavillon, wenn die Inspiration doch - wie zuvor erwähnt - in den Bambushainen Japans lag?

Von aussen betrachtet lässt der Wolkenpavillon wohl noch keinen Bezug zum Himmel oder zu einer Wolke erahnen. Spätestens aber beim Betreten dieses durch einen der beiden Eingänge dürfte man auf die grosse Aussparung im Dach des Pavillons aufmerksam werden, welche den Blick in den Himmel gewährt und man bei entsprechender Witterung die vorbeiziehenden Wolken beobachten oder im Herbst den fallenden Blättern des angrenzenden Baums zuschauen kann.

Und hierbei liegt ein weiterer Zauber des Pavillons, was vielleicht am besten und poesievollsten mit weiteren Worten Kierkegaards ausgedrückt werden kann:

...deshalb liebe ich den Herbst so viel mehr als den Frühling, denn im Herbst sieht man zum Himmel, im Frühjahr zur Erde.

Søren Kierkegaard

Mit diesem Zitat möchte ich keineswegs eine Wertigkeit der verschiedenen Jahreszeiten vornehmen oder ein solche Kierkegaard unterstellen, doch für einen der Melancholie zugeneigten Philosophen, und ihm würde ich mich persönlich in dieser Meinung gerne anschliessen, eröffnet einem vor allem der Herbst mit dem Fallen der Blätter und die dabei lichter werdenden Baumkronen den Blick durch das Geäst in den Himmel. Und einen solchen auf oder in den Himmel gerichteten Fokus wollte ich u.a. mit dem Pavillon und seinem Wolkenfenster erzielen.

Der Himmel schlechthin als Symbol für die Ewigkeit, die fallenden Blätter und die vorbeiziehenden Wolken am Himmel als Sinnbild für die Zeitlichkeit, der flüchtigen und vergänglichen Schönheit des Augenblicks.

Der Aspekt der Zeitlichkeit im Wolkenpavillon lässt sich aber nicht nur im Inneren erfahren, wenn man durch das Wolkenfenster im Dach in den Himmel schaut, sondern ist auch in konzeptioneller wie auch konstruktiver Hinsicht verschiedentlich immanent.

WOLKENSYMBOLIK & DIE ÄSTHETIK DES ALTERNS

Beginnen möchte ich dabei mit etwas sehr Offensichtlichem. Denn wenn man den Innenhof betritt, so sieht man vorerst nämlich erst ein auffallendes grünblaues Gebilde, ohne vorerst vielleicht eine Ahnung zu haben, um was es sich handeln dürfte. Die blau-grüne Erscheinung der Kupferelemente des Pavillons ist aber kein Farbanstrich, sondern es handelt sich dabei um die beständige, aber sich stets wandelnde charakteristische Patina, die sich bei Kupfer unter Einwirkung natürlicher Umweltverhältnisse ergeben. Vergleichbar mit den grünblauen Färbungen an manch Kirchenturmdächern.

Bei der Kupferpatina handelt es sich um eine natürliche Oxidationsschicht des Kupfers, die sich unter Einfluss der atmosphärischen Bedingungen des Standorts über die Jahrzehnte hinweg bilden mag. Um diesen langsamen Prozess etwas zu beschleunigen, wurden die Kupferoberflächen mit einer eigens entwickelten Lösung in aufwendiger Arbeit behandelt. Sie besteht – je nach Exposition und natürlicher Atmosphäre – hauptsächlich aus Kupfercarbonaten, -sulfaten und -chloriden. Sie ist nicht wasserlöslich, nicht giftig und schützt das Kupfer vor Korrosion. Eine solche Patina ist nicht zu verwechseln mit dem im Volksmund oft gebrauchten Begriff des Grünspans. Grünspan ist eine Kupferacetatverbindung, ist wasserlöslich, giftig und greift das Kupfer an.

Diese Patina also ist ein natürliches Produkt im Prozess der Alterung, schützt damit aber das tragende Material vor weiterer Korrosion und trägt zur Langlebigkeit dieses Materials bei. Also eine Besonderheit, die das Altern, die Vergänglichkeit mit Beständigkeit und Ewigkeit verbindet.

Faszinierend dabei ist also der Aspekt, wie sich das Altern in diesem Fall ästhetisch und protektiv auswirken kann.

Was weniger offensichtlich ist und zuweilen dem Auge ganz verborgen, sind gewisse konstruktive Aspekte des Pavillons.

So wurde der ganze Pavillon eigentlich lediglich aus zwei Linien entworfen. Bei diesen Linien handelt es sich um zwei geschwungene, in freier Interpretation entlehnte Elemente einer stilisierten Wolke aus der japanischen Kultur und Kunst. Exemplarisch schön zeigt sich diese Wolkenornamentik an der Deckenmalerei des Zenbuddhistischen Tempels Kenninji in Kyoto.

In Verbindung dieser zwei Linien ergibt sich der Grundriss des Pavillons, welcher ebenfalls eine stilisierte Wolke darstellt. Die Wolkenthematik ist also bereits grund- und formgebend.

In konstruktiver Hinsicht wurde der Pavillon hauptsächlich aus Stahl, Kupfer und Messing gefertigt. Dies ist kein Zufall, denn mein bevorzugtes Medium für die Kunst ist Metall. Seit etwa 25 Jahren setze ich mich mit diesem Material auseinander, schweisse Skulpturen und Metallbildplastiken, wobei die diversen Oberflächenverarbeitungen wie z B. die Patinierung stets ein wichtiger Teil bildet.

Die Herausforderung bei der Verarbeitung von Metall und speziell bei diesem Kunstpavillon war es vor allem, durch die Verwendung von primär hart, schwer und kühl erscheinendem Metall etwas leicht und warm Erscheinendes zu gestalten. Eine zweite Herausforderung beim Pavillon lag darin eine optimierte Konstruktion zu erschaffen, die den Sinngehalt des Pavillons in der Optik und Ästhetik nicht einschränkt und zugleich aber den bauphysischen Erwartungen entsprechen.

Auf einem massiven Fundament, das die grossen Kräfte, die sich auf den Pavillon auswirken aufnimmt, wurden tragende Vollstahlsäulen fest verankert, welche das rund 4.5 Tonnen schwere Metalldach trägt, an welchem wiederum die Aberhunderte von Kupfer- und Messingrohre eingespannt sind. Die Dachkonstruktion selber war bereits eine planerische wie auch fertigungstechnische Herausforderung. 800 unterschiedliche Bleche mit jeweils genau berechneten und optimierten Formen und Dicken wurden Stück für Stück verschweisst. Aufgrund der Grösse des Daches und den logistischen Umständen wurden zehn einzelne Dachsegmente in meiner Werkstatt gefertigt und erst vor Ort in Brugg zusammengeschraubt. Diese bedingte eine millimetergenaue Planung und Fertigung mit einer gewissen schweisstechnischen Erfahrung. Denn durch die durchgehende Verschweissung all dieser Stahlelemente besteht die grosse Gefahr des Verzugs durch die Wärmeeinwirkung.

Um die Dachkonstruktion einer Wolke gleich leicht und schwebend zu gestalten, konstruierte ich die tragende Struktur in Anlehnung eines Flugzeugflügels. Dadurch konnte mit relativ geringer Materialstärke der Blechelemente eine sehr stabile und belastbare und zugleich leichte Konstruktion erzielt werden. Für die Auflagefläche der einzelnen Kupferscharen wurden die Kassetten mit individuell angepassten Glasschaumelementen gefüllt.

Die dritte grosse Herausforderung lag in der Konzipierung der Kupfervorhänge, das heisst, dem Einspannen der über Tausend Kupfer- und Messingrohre. Denn diese kann man nicht einfach unten am Boden und oben am Dach fest verschrauben, da mit unterschiedlicher Wärmeeinwirkung auf den Pavillon das Material sich unterschiedlich ausdehnt. So wurden alle Kupfer- und Messingrohre unten am Boden fest in eine zuvor montierte und jetzt nicht mehr sichtbare Einspannschiene verschraubt, Dachseits hingegen wurde in jedes Rohr ein genau gedrehtes Kolbenstück gesetzt und mit der Dachkonstruktion verschraubt. Durch den Kolben erhalten die Kupferrohre eine ausreichende Stabilität und zugleich ermöglichen diese die Kompensierung der unterschiedlichen Wärmeausdehnung.

PROJEKT

Fertigstellung:                                        2021

Bauherrschaft:                                       Schönegg AG, Brugg AG

Architektur AZ Schönegg:                    fsp-Architekten, Spreitenbach AG

Landschaftsarchitektur:                        Näf Landschaftsarchitektur, Brugg AG

Gartenbau:                                              Wetzel AG, Birmenstorf AG

Holzelemente Sitzbänke Pavillon:      Holzbiegewerk Winkler AG, Leuggern AG

Planung und Konstruktion:                   Patrick Thür in Zusammenarbeit mit Ingenieur Lukas Baumann AG, Bremgarten AG

Fertigung Metall- und

Spenglerarbeiten und Montage:         Patrick Thür, Rüti ZH

Sternenhimmel Konzert im Wolkenpavillon

Christian Siegmann mit seiner Interpretation Concerto in C Major, RV 443: II. Largo von Vivaldi

Wolkenfenster - Himmelszelt

Die Entstehungsgeschichte in Bildern

Der konzipierte Pavillon soll sich korrespondierend und harmonisch ins Gesamtbild der Architek-tur und der Landschaftsgestaltung einfügen und dennoch als eigenständiges Element zur Geltung gelangen.Inspirationen zur Gestaltung des Pavillons sind einerseits die Architektur der Alterssiedlung Schönegg, bzw. gewisse Elemente dieser, zweitens aber auch die landschaftsarchitektonische Gestaltung des Innenhofs der Alterswohnungssiedlung. Des Weiteren bildet auch meine Arbeitsweise und Kunsttechnische Grundlage eine ergänzende Inspiration. Letztlich, aber allem voranstehend wird die Konzeption und Gestaltung durch den Sinn und Zweck der Umgebung, sprich der Altersresidenz und ihren Bewohnern inspiriert.

Januar 2020 Projektstart

August 2020 Fundament

September 2020 Bodenkanal

Winter 2021 Aufrichte Wolkendach

Frühling 2021 Stangenvorhang

Frühsommer 2021 Dachversiegelung und Fertigstellung Stangenvorhang

Sommer 2021 Unterdach Versiegelung

Spätsommer 2021 Sitzbänke