Gastaustellung & Vortrag mit Werken von indonesischen Weberinnen, kuratiert von Willemijn de Jong

Textile Verzauberung - Webkunst aus Flores, Gastausstellung @ Thür Art Manufacture, © Sabine Wunderlin, Zuerich, Switzerland

Die Ausstellung Textile Verzauberung zeigt eindrückliche Beispiele der Webkunst aus Flores in Form von Sarongs und Schals. Die kunstvollen Tücher werden bei Ritualen und im Alltag abwechselnd mit westlicher Kleidung getragen. Zudem gibt man den Toten zur Ehre mehrere Stoffe mit ins Grab. Kunstvoll ist insbesondere die Herstellung der Muster durch die Ikat-Technik. Das heisst, in einem aufwendigen Prozess wird Garn durch Knüpfen oder Abbinden, ikat auf Indonesisch, und erst dann durch Färben und Weben in Stoff verwandelt.

Weshalb „Verzauberung“? Erstens ist die Kulturtechnologie des Ikat nicht leicht nachvollziehbar. Und wenn man die Herstellung der Muster und der Stoffe, die auf einem besonderen Wissen und auf vielen Jahren Erfahrung beruhen, erahnt, staunt man über die Kunstfertigkeit der Weberinnen. Zweitens werden in jedem Tuch besondere lokale, aber auch globale Charakteristiken der Kultur und des sozialen Lebens eingewoben. Wir können die machtvolle Wirkung der Ahninnen entdecken, aber auch Aspekte des früheren Handels und der Kolonialpolitik. Drittens ist die persönliche Biographie und Handschrift oder Position der Weberin im Stoff mit verwoben. Und viertens haben bestimmte Tücher etwas Geheimnisvolles oder eine Wirkmacht durch die Personen, welche die Tücher getragen haben, also durch den Gebrauch.

Neu sehen

Um den Zauber und die Besonderheit dieser Webkunst sowohl sinnlich als auch intellektuell erfahrbar zu machen, wird die Ethnologin mit den Besuchenden interaktive Sehübungen“ durchführen. Dabei vermittelt sie ihre Seh-Art der textilen Kultur im Webereizentrum Nggela in Flores – auch als Beispiel einer neuen Herangehensweise an Textilien. Von Hand gemachte Stoffe werden oft in statischer Weise mit Bezug auf „Tradition“ gesehen. Willemijn de Jong hingegen betrachtet die Mobilität der Materialien und Muster der Textilien in Zusammenhang mit zeitgenössischer Mode und Kunst und sowohl in einem lokalen als auch globalen Rahmen.

In dieser Schau geht sie von neuen Auffassungen in der Kunstethnologie aus und beleuchtet die Textilien als künstlerische Objekte – kurz, Kleidung als Kunst. Ein wichtiger Aspekt ist die bereits genannte Verzauberung durch die Herstellungstechnik. Weiter geht es um eine komplexe Intentionalität, die mit vielen Mustern und Stoffen verbunden ist, und die spezielle lokale Ästhetik in Formen und Farben. Es geht auch um einen besonderen Austausch der Muster untereinander (von Teilen untereinander und von Teilen mit dem Ganzen) und zwischen den Mustern und der betrachtenden Person. Die Stoffmuster zeigen vor allem „ich als Weberin bin dazu fähig, komplexe und wirkungsmächtige textile Aufgaben zu lösen“, und nicht in erster Linie „ich will Schönheit herstellen“ – was wir im Westen zuerst erwarten würden. Zudem ist zu reflektieren, was es mit den Stoffen und mit uns macht, wenn sie beim Tragen in Bewegung sind und in dreidimensionaler Form beeindrucken, oder wenn sie aufgehängt sind und in ihrer Zweidimensionalität wirken.

Dahinter steht die grundlegende ethnologische Erkenntnis, dass Menschen und Dinge eng verknüpft sind. Nicht nur Menschen, oder Personen, sondern auch Dinge können in sozialen Beziehungen starke Wirkungen oder Wirkmächtigkeit, agency auf Englisch, ausüben. Dinge, insbesondere wenn sie als Gaben geschenkt werden, enthalten immer auch persönliche Anteile von Menschen. Dinge in Form von Kunstwerken haben oftmals den Charakter von Gaben – und können, prozesshaft betrachtet, Veränderungen in sozialen Beziehungen und Wahrnehmungen bewirken.

Mächtige Ahnenmuster

Textile Verzauberung - Webkunst aus Flores, Gastausstellung @ Thür Art Manufacture, © Sabine Wunderlin, Zuerich, Switzerland

Die Austellung umfasst fünf Stationen. Die ersten drei Stationen im grossen Galerieraum zeigen Sarongs von Frauen mit abstrakt-geometrischen Mustern. Die Wickelröcke der ersten Station, Mächtige Ahnenmuster genannt, machen die Präsenz kreativer Weberinnen früherer Generationen in den Mustern erfassbar. „Hergestellt nach Vorbild der Ahninnen,“ so kommentieren die Weberinnen diese Muster. Für eines der Muster gilt das äusserst strikt. Doch es ist schwierig, mit der Ikattechnik ein Muster präzise nachzubilden. Leicht schleichen sich kleine Motivvarianten ein. Ursprünglich kommen viele dieser Muster und Musterkombinationen aus Indien. Zum einen sind „schwarze“ Sarongs zu sehen, deren blau-schwarze Bänder mit Indigo gefärbt sind. Zum anderen werden „rote“ Sarongs gezeigt, die ganz mit dem natürlichen roten Farbstoff morinda citrifolia gefärbt sind.

Magische Regenstoffe

Die zweite Station heisst Magische Regenstoffe. Die hier ausgestellte, wirkmächtige Kleidung besteht aus drei in den letzten Jahren hergestellten rituellen Tüchern. Sie weisen ebenfalls Ahnenmuster auf. Stoffe dieser Art werden während des rituellen Regentanzes getragen. Mit Hilfe bittender Bewegungen, mit gebetsartigem Gesang und gekleidet mit dieser speziellen Kleidung rufen junge Tänzerinnen die Ahnen an, Regen zu schicken. Für den meist sakralen, oberen Sarong sollen ursprünglich portugiesische Glasperlen verwendet worden sein. Diese Art von Sarongs wurde lange nicht mehr hergestellt.

Kunstvolle Neuinterpretationen

Die dritte Station Kunstvolle Neuinterpretationen zeigt Werke mit Mustern, die durch eigene kreative Ideen der Weberinnen entstanden sind. Klassische Ahnenmuster erscheinen hier in abgewandelter Form und Komposition. Die Sarongs sind mit gelbem, synthetischem Garn und mit synthetischem Farbstoff hergestellt und machen deutlich: Diese Textilien sind künstlerisch genauso interessant.

Faszination Indigo

Im hinteren Galerieraum mit der Station Faszination Indigo geht es um verschiedene Arten blau-schwarzer Ritualsarongs mit Karos und Streifen für Männer. Sie geben einen Eindruck vom feinen Farbgefühl der Weberinnen, insbesondere von ihrer Faszination für die Nuancen des Indigos. Männersarongs werden in Nggela nicht ohne Indigo hergestellt. Die Weberinnen wollen vermeiden, dass die blau-schwarze Farbe zu hart wirkt. Früher wurde das weisse Garn für Männersarongs vollständig mit Indigo gefärbt. Heute wird mit synthetischem Farbstoff schwarz gefärbtes oder gekauftes schwarzes Garn mit Indigo überfärbt. Ergänzt werden die Männersarongs mit rituellen Schulter- und Kopftüchern, die von Vorstehern der Ritualhäuser getragen werden.

Textile Verzauberung - Webkunst aus Flores, Gastausstellung @ Thür Art Manufacture, © Sabine Wunderlin, Zuerich, Switzerland

Geheimnisvolle Bildmotive

Im kleinen Galerieraum sehen wir die fünfte Station Geheimnisvolle Bildmotive, spannende Werke mit figürlichen Motiven. Sie sind im neueren globalen Zusammenhang des Reisens entstanden. Die Exponate zeigen sehr schön, wie die begabtesten Weberinnen ihre eigene Könnerschaft und Kreativität ausleben. Zum einen erblicken wir wiederkehrende aber auch variantenreiche Motive bei mehreren Weberinnen. Zum anderen sehen wir Motive und Motivkompositionen, die eine Weberin für sich als Markenzeichen bzw. als Ausdruck ihrer eigenen Handschrift oder künstlerischen Position entwickelt hat. Wir entdecken geheimnisvolle mythische und rituelle Motive und solche aus dem Alltag der Weberinnen. Interessant ist, wie sie Bilder aus Schulbüchern oder von Zementsäcken kreativ und kunstvoll auf ihren Ikatrahmen übertragen. Dazu gehört zum Beispiel ein Fotograf, durch den eine der Weberinnen einen expliziten Blick von aussen einführt.

Textile Verzauberung - Webkunst aus Flores, Gastausstellung @ Thür Art Manufacture, © Sabine Wunderlin, Zuerich, Switzerland
Textile Verzauberung - Webkunst aus Flores - Gastausstellung @ Thür Art Manufacture, © Sabine Wunderlin, Zuerich, Switzerland
Textile Verzauberung - Webkunst aus Flores - Gastausstellung @ Thür Art Manufacture, © Sabine Wunderlin, Zuerich, Switzerland
Textile Verzauberung - Webkunst aus Flores, Gastausstellung @ Thür Art Manufacture, © Sabine Wunderlin, Zuerich, Switzerland

Kreativität und Eigenständigkeit

Das eigenständige Herstellen, Verkaufen und Schenken ihrer prestigeträchtigen Textilien ist die Basis für eine starke Stellung der Weberinnen in lokalen Gemeinschaften wie Nggela in Flores – und für ihre besondere Textilkunst. Für die Weberinnen ist es auch existentiell wichtig, ihre Tücher verkaufen zu können. Sie bestreiten durch den Verkauf ihrer Tücher die Lebenshaltungskosten der Familie, sie zahlen das Schulgeld für ihre Kinder oder Kosten im Zusammenhang mit dem Haus. Während die Männer oft landwirtschaftliche Produkte für den Eigengebrauch und in geringem Mass für den Markt anpflanzen, sind die Frauen hauptsächlich für die Finanzen zuständig. Das bedeutet, die meisten ihrer Textilien werden abgetragen, zerfallen in Gräbern oder werden mit der Diaspora der Nggela Community und mit gelegentlichen Sammlerinnen und Sammler in allen Windrichtungen verstreut. Nur einzelne Stoffe fanden bisher den Weg in Museen und zeugen von der dortigen Textilkunst.

Textile Verzauberung - Webkunst aus Flores - Gastausstellung @ Thür Art Manufacture, © Sabine Wunderlin, Zuerich, Switzerland
Textile Verzauberung - Webkunst aus Flores - Gastausstellung @ Thür Art Manufacture, © Sabine Wunderlin, Zuerich, Switzerland
Textile Verzauberung - Webkunst aus Flores - Gastausstellung @ Thür Art Manufacture, © Sabine Wunderlin, Zuerich, Switzerland

Ein Archiv

Willemijn de Jong hat seit Mitte der 1980er Jahre während ihrer Langzeitforschungen und cultural visits in Flores regelmässig Textilien von den Weberinnen gekauft. Oft boten sie die Tücher von sich aus an. Dabei war es der Ethnologin immer wichtig, einen fairen Preis zu zahlen. Einige Tücher hat sie durch Freundschaften geschenkt bekommen, was wiederum zu Gegenleistungen ihrerseits führte. Ihre Textilsammlung war nicht von Anfang an geplant. Sie entstand durch die Zusammenarbeit mit den Weberinnen. In einmaliger Weise widerspiegelt die Sammlung die besondere Kreativität der Weberinnen in einer Region in Flores um die Jahrhundertwende. In Absprache mit der Community von Nggela und indonesischen Kulturvertretern soll die Sammlung als kulturelles und künstlerisches Archiv für spätere Generationen aufbewahrt werden und Interessierten zugänglich sein.

PROF. DR. WILLEMIJN DE JONG

Der Brand

Im Oktober 2018 wütete ein schrecklicher Brand in Nggela, vermutlich verursacht durch einen Kurzschluss. Der Brand zerstörte 34 Häuser, darunter 23 Ritualhäuser mit wichtigen rituellen Gegenständen und wertvollen Textilien. 27 Familien verloren ihr Hab und Gut. Auf dem Spiel standen jedoch die Kultur und Identität der ganzen Insel, denn Nggela ist eines der wenigen Dörfer in Flores, wo tradierte Architektur, Rituale, Tanz, Gesang und Webkunst lebendig und umfassend praktiziert und gepflegt werden. Ohne Ritualhäuser verschwinden die gemeinschaftsfördernden Rituale und die Webkunst ist bedroht. Die Bilder zeigen das Dorf vor und nach dem Brand bis zu den Vorbereitungen des Wiederaufbaus. Sie zeigen auch das Ritual, in dem ein Vorsteher des wichtigen Hauses Sa’o Ria die Ahnen bittet, Bäume fällen zu dürfen, und das gemeinsame Essen im provisorischen Ritualhaus.

Textile Verzauberung - Webkunst aus Flores, Gastausstellung @ Thür Art Manufacture, © Sabine Wunderlin, Zuerich, Switzerland
Textile Verzauberung - Webkunst aus Flores, Gastausstellung @ Thür Art Manufacture, © Sabine Wunderlin, Zuerich, Switzerland
Textile Verzauberung - Webkunst aus Flores - Gastausstellung @ Thür Art Manufacture, © Sabine Wunderlin, Zuerich, Switzerland
Textile Verzauberung - Webkunst aus Flores - Gastausstellung @ Thür Art Manufacture, © Sabine Wunderlin, Zuerich, Switzerland
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Das Projekt

Willemijn de Jong und die Fotografin Sabine Wunderlin unterstützen den Wiederaufbau des Dorfes mit verschiedenen Aktivitäten: eine Selbsthilfe-Initiative und Textilauktion, Spendenaktionen und die Ausstellung Textile Verzauberung. Webkunst aus Flores. Die Selbsthilfe-Initiative wurde mit Hilfe von Einheimischen angeregt. 60 Weberinnen verkauften Ikat-Stoffe, die in Jakarta und in der Schweiz weiter verkauft wurden und werden. Anlässlich der Ausstellung wird ebenfalls eine Spendenaktion durchgeführt, und es können einige Textilien gekauft werden. Der Erlös kommt vollumfänglich dem Wiederaufbau der Ritualhäuser zugute. Ein Ritualhaus kostet ca. CHF 18’000. Die Bilder zeigen Weberinnen mit ihren Tüchern und andere beim Spinnen, Ikatten und Weben während des Besuches von Willemijn de Jong und Sabine Wunderlin in Nggela im September 2019.

Textile Verzauberung - Webkunst aus Flores - Gastausstellung @ Thür Art Manufacture, © Sabine Wunderlin, Zuerich, Switzerland
Textile Verzauberung - Webkunst aus Flores - Gastausstellung @ Thür Art Manufacture, © Sabine Wunderlin, Zuerich, Switzerland
Textile Verzauberung - Webkunst aus Flores - Gastausstellung @ Thür Art Manufacture, © Sabine Wunderlin, Zuerich, Switzerland
Textile Verzauberung - Webkunst aus Flores - Gastausstellung @ Thür Art Manufacture, © Sabine Wunderlin, Zuerich, Switzerland
Textile Verzauberung - Webkunst aus Flores - Gastausstellung @ Thür Art Manufacture, © Sabine Wunderlin, Zuerich, Switzerland

Öffnungszeiten

Ausstellung: 21.02.2020 – 13.03.2020
Vernissage: 21.02.2020 ab 19:00 Uhr
Einführung: Willemijn de Jong 20:00 Uhr

Finissage: 13.03.2020 ab 19:00 Uhr
Vortrag und Verkauf einiger Textilien: 13.03.2020 ab 20:00 Uhr

Führungen: 28.02.2020 ab 17:30 Uhr mit Willemijn de Jong und Patrick Thür

Öffnungszeiten:
Do – Fr: 17:00 – 19:00 Uhr
Sa: 15:00 – 17:00 Uhr
So: 15:00 – 17:00 Uhr
oder nach Vereinbarung

Präsentiert von: Thür Art Manufacture
Christoph Thür, Patrick Thür, Silvio Biaggi

Ausstellungsobjekte:

Besucher Vernissage: